Lady Musgrave Reef, in a box corals 2019, crochet work & glass


INSIDE_OUTSIDE, crochet work, yarn, epoxy, wood & chinese nylon, installationview Ludwig-Museum Koblenz 2019


Lady Musgrave Reef, yarn & connecting tissue, crochet work 2002-2019


Blue Vineyard, yarn, crochet work 2012, colorprint, Vineyard Mia Zabelka Austria


SOFT CIRCLE, recycled fabrics, 2003, hand crochet piece, 300 cm diameter


22 Colorprints on Dipond, MODELS 2002-2019, approx. 50 x 70 cm

 

    

ÄQUILIBRIUM VIVAT
Ludwig Museum Koblenz

zu Arbeiten von Petra Maitz
Jan Kuhlbrodt

1
Als Penelope der Sage nach auf die Heimkehr ihres Mannes, des Kriegshelden und Seefahrers Odysseus, wartete, wurde sie von Freiern belagert, sozusagen Fremdhelden, die verlangten, den Tod ihres Mannes endlich anzuerkennen, und einen von ihnen zu ehelichen, denn sie alle waren scharf auf Ithakas Thron. Penelope aber hatte keine Lust, den ausstehenden Helden, an dessen Abwesenheit sie sich über die Jahre gewöhnt hatte, die sie wahrscheinlich sogar genoss, durch einen der Herren zu ersetzen, die ihr Haus belagerten und die Vorräte an Wein leer soffen. Also ersann sie die Idee, dass die tobenden Männer so lange zu warten hätten, bis sie ein Gewand fertiggestellt und dann bereit sei, den ausstehenden Gatten zu ersetzen. Man könnte meinen, sie zog sich in Handarbeit zurück, aber Handarbeit war ihre Rettung. Sie webte und nähte und wenn sie fast fertig war, trennte sie das Gewebte und Genähte wieder auf, um einen Abschluss zu vermeiden.

2
Hinter Glas die gehäkelte Nachbildung einer Koralle, eines Lebewesens also, dass langsam über Jahrzehnte wächst, nicht heranwächst, denn eine Koralle ist immer schon erwachsen und nie ausgewachsen, ein Lebewesen, das in seiner kristallinen Materialität eher als Mineral wirkt, und letztlich dienten bestimmte Arten dieses Lebens ja auch der Schmuckproduktion und erscheinen in edle Materialien gefasst, in Ketten oder Ringen als Stein. Hier aber Baumwolle. Im Grunde das Gegenteil von Stein. Organisch und nicht mineralisch, sozusagen eine fließende Gestalt, in unverarbeiteter Form eher an Seegraswiesen erinnernd. Auch das aber ist Leben gewesen. Da hebt sich etwas auf, ohne zu verschwinden. Ein natürlicher Prozess wird sichtbar als künstlicher, oder besser als Kunstprozess. Dem beigestellt Fotografie. Bilder, die an den dokumentarischen Charakter des Mediums erinnern. Gegenstand der Abbildungen zuweilen aber wieder Baumwollenes. Baumwollene Prothetik, könnte man sagen, die dem Körper hilft, seine natürliche Begrenztheit zu überwinden, in das auszuwuchern, was er nicht ist, was die Konvention nicht zulässt. Menschliche Körper ergänzt durch gestrickte Organe. Korallenschmuck. Aber eben weit mehr als Schmuck. Der Körper wird ergänzt als sollte er auf eine neue evolutionäre Ebene gehoben werden, auf der sich geschlechtliche Zuschreibungen in Spielfeldern auflösen.

3
Objekte präsentiert in Vitrinen, so vielleicht kann man die Konzepte naturwissenschaftlicher Ausstellungen bezeichnen, bevor die Elektronik in die Museumskonzepte Einzug hielt und ein interaktiver Trubel sich breitmachte, der den Objekten letztlich ihre Aura nahm. Sie wurde ersetzt durch blinkende Lämpchen und Tasten. Was früher strengstens verboten war, wird heute verlangt.
Man soll die Exponate berühren. Es ist letztlich die Ideologie der Industriegesellschaften, dass nur das als erkannt begriffen wird, was man einem menschlichen Interesse oder Bedürfnis subsumiert hat: Kohle ist Kohle als Brikett, oder zumindest so lange sie in Öfen brennt und glimmt. Und die meisten kennen Korallen nur als Schmuck oder aus dem Fernsehen.
Aber der Betrachter verliert auch den Abstand, der vielleicht eine Bedingung ist für eine kontemplative Erkenntnis. Es fehlt die Scheibe zwischen Ausstellungsbesucher und Objekt, die zuweilen, bei günstigem oder ungünstigem Licht die Gesichtszüge dessen reflektiert, der zu nah an die Vitrine herantritt, der vielleicht seinen Atem so aushaucht, dass das Glas beschlägt.

4
Es gibt eine Erzählung von Jorge Luis Borges; ein Zoobesucher darin steht vor einem Terrarium mit Olmen. Er betrachtet sie intensiv. In der Beschreibung der Betrachtung wechselt die Erzählung die Perspektive so, dass letztlich die Olme den Betrachter betrachten.
Vielleicht ist diese Bewegung eine der geglückten Erkenntnisse, dahingehend, dass wir mehr über uns erfahren in der Versenkung der Exponate und in den vagen Reflexionen auf der Scheibe, hinter der sie sich offenbaren.

5
Dass alle Kunst aber Übersetzen sei, ist eine romantische Vorstellung, von Novalis irgendwo in seiner Fragmente-sammlung "Blütenstaub" formuliert, der es allerdings hätte auch besser wissen können, denn er vermaß als Grubenassessor jene Braunkohlelagerstätten die uns heute im mittleren Sachsen als Seenplatten begegnen. Der Mensch imitiert mit ihnen Natur, aber natürlich ist ein geflutetes Tagebaurestloch noch keine Kunst, aber es ist künstlich. Petra Maitz übersetzt auch, doch sie übersetzt in Materialien, in Textur, wo sie die Riffs in Baumwolle Nachhäkeln lässt, und sie eröffnet mir, dem Betrachter so etwas wie eine genuine Erkenntnis.
Wahrscheinlich werde ich nie eines natürlichen Korallenriffs ansichtig werden, auch wenn ein solcher Tauchgang zu meinen Urwünschen, vielleicht sogar zu den Urwünschen meiner Generation im mittleren Europa gehört; denn wir sind mit Cousteau sozialisiert, saßen allesamt als Kinder gebannt vor dem Fernseher, um "Geheimnisse des Meeres" zu schauen. Spektakuläre Aufnahmen von Tauchgängen in Riffs, und sich schlängelnden Muränen, von denen es hieß, sie könnten mit einem Biss den Arm des Tauchers durchtrennen. Niemals aber zeigte sich eines der Tiere als so aggressiv.

6
Sediertes Sediment.

7
Das baumwollene Riff natürlich muss ohne Tiere auskommen. Und es kommt ohne Tiere aus. Die Erfahrung die es mir ermöglicht, zielt ja auch nicht auf einen Thrill. Ist nicht auf unmittelbare Gefahr aus.
Hier wird kein Jurassik Parc entworfen, in dem einem plötzlich Gestorbenes entgegentritt als künstlich Wiederauferstandenes. Nein, das Objekt behält die Ruhe. Allein im Betrachter kann es zu Aufwallungen kommen.

8
Wie verhält sich die Naturwissenschaft zur Kunst? Sind Darwins Zeichnungen der Schnabelformen von Finken künstlerische Arbeiten? Ist das Abbild ein Abbild? Visualisierung ist immer auch Transformation.
Das Bild ist das Bild des Gedachten. Konsequent verfolgt Maitz diesen Pfad in ihrer Arbeit Visualisierung of Evolution. Die Darstellung des Evolutionsprozesses in Echtzeit wäre aber auch irre.
Und kein Individuum verfügte über so viel Lebenszeit, ihr komplett beizuwohnen.
Wir leben in einem Segment der Zeit aber auch in der räumlichen Welt. Jeder in seinem, auch wenn es sich mit dem des Nächsten überschneidet.
Karten aber und Darstellungen lassen uns etwas von der Größe des Gesamten erahnen.